Irgendwann nach meinem 5. Geburtstag fing es wohl an: ich verkündete meiner Mitwelt, dass es ekelig sei, tote Tiere zu essen und, soweit ich das damals schon erkennen konnte, aß ich ab diesem Zeitpunkt kein Fleisch und Fisch mehr. Meine Eltern hielten das damals zunächst nur für eine vorübergehende Phase, waren dann aber, als die Phase immer länger wurde, doch beunruhigt und konsultierten den Kinderarzt. Dieser empfahl, unter die Butter des Butterbrotes Leberwurst zu schmieren (das Kind braucht schließlich Eiweiß, Eisen etc.). Ich bemerkte dies natürlich und bescherte meinen Eltern einen Aufstand revolutionären Ausmaßes. Seitdem respektierten sie meinem Vegetarismus, wofür ich ihnen bis heute dankbar bin. Trotzdem blieb ich Einzelkämpfer. Die Jahre vergingen mit Grillpartys (Brötchen mit Senf), Kindergeburtstagen („nein, kein Würstchen bitte“), Klassenfahrten („nein, ich esse die Erbsensuppe nicht; auch nicht, wenn wir versuchen, den Speck zu entfernen“), McDonald-Besuchen bei denen ich demonstrativ vor der Tür stehen blieb. Ich musste gefühlt eine Millionen mal erklären, warum es eben alles andere als natürlich ist, Tiere zu quälen, zu töten und zu essen. Zusammenfassend: ich empfand es all die Jahre als ziemlich anstrengend, anders zu sein, sah für mich aber keine Alternative dazu.
Ende der 1990er Jahre traf ich das erste Mal einen Veganer. Seine Argumente leuchteten mir ein und ich erkannte, dass meine Lebensweise ziemlich inkonsequent war. Trotzdem schaffte ich den Schritt damals nicht – ich scheute wohl die damit verbundene noch größere „Andersartigkeit“ – und verdrängte die Milch und die Eier, das Leder und die Schafwolle aus meinem Bewusstsein.
Vor ein paar Jahren begann es dann aber unbewusst und ganz von alleine: Eier und Milch konnte ich nur noch im verarbeiteten (unkenntlich gemachten) Zustand ertragen. Ende 2013 entschied ich mich dann für die konsequente vegane Lebensweise. Dies war nicht schwer, da es heutzutage nicht mehr besonders aufwendig ist, vegan zu leben. Ich musste im Prinzip nur noch „auf einen fahrenden Zug aufspringen“. Man findet alle Informationen im Netz, es gibt ein wachsendes Angebot in Supermärkten, Kantinen, Mensen und man kann sich mit Gleichgesinnten vernetzen.
Für mich ist der wichtigste Aspekt der veganen Lebensweise die Reduzierung von Tierleid. Es gibt einfach kein überzeugendes Argument, warum wir im reichen Deutschland Tiere quälen und töten müssen, da es eine Vielzahl von Alternative dazu gibt. Argumente für die „Nutzung“ von Tieren, welche genauso wie wir empfindungsfähige Wesen sind, basieren entweder auf Werturteilen gepaart mit dem Ignorieren der Evolutionstheorie („Macht euch die Erde untertan“, Mensch als „Abbild Gottes “, „natürliche Ordnung“), falschen logischen Schlüssen („der Mensch hat schon immer….“, „für die Entwicklung des menschlichen Gehirns….“, „das Gebiss des Menschen…“), unverhohlenem Egoismus („weil es mir schmeckt“), falschen biologischen Annahmen („Tiere können kein Leid empfinden“) oder – wie in meinem Fall für viele Jahre – auf Verdrängen („glückliche Kühe, die gerne ihren Kindern die Muttermilch vorenthalten, um sie dem Menschen zu schenken“ etc.).
Wichtig sind mir auch die weiteren Vorteile der veganen Lebensweise. Inzwischen ist es im öffentlichen Bewusstsein angekommen, dass die Produktion und der Konsum tierlicher Lebensmittel mit ungünstigen Auswirkungen auf Klima und Umwelt verbunden sind. Darüber hinaus werden die negativen Effekte des Fleischkonsums in den reichen Ländern auf die Ernährungssituation von Menschen in den armen Ländern diskutiert.
Ich war immer kritisch in Bezug auf weitreichende Aussagen zu den gesundheitlichen Folgen der Ernährung – die Widersprüche der Studien sind zu groß; zu oft gibt es neue Moden und neue Heilsversprechen. In den letzten Jahren habe ich mich dann intensiver mit dem Thema beschäftigt. Als empirisch arbeitender Wissenschaftler habe ich dann selber zu dem Zusammenhang zwischen dem Konsum von Milchprodukten und Krebs geforscht und die Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Ich interpretiere die zugegebenermaßen sehr unübersichtliche Studienlage so, dass die vegane Ernährung nicht nur vollkommen „ungefährlich“ ist, wenn man ein paar sehr einfache Grundregeln beachtet, sondern sogar mit vielen gesundheitlichen Vorteilen (bis hin zur Reduktion des Krebsrisikos) verbunden sein kann.
Von Tobias Hagen


