
Maus im Käfig
Foto: Ärzte gegen Tierversuche
Seit 18 Monaten ist Hakan Şentürk Chefredakteur der Gastroenterologischen Fachzeitschrift der Türkei. Seitdem nimmt die Zeitschrift nur noch Veröffentlichungen auf, die nicht direkt auf Tierexperimenten beruhen. In seinem Leitartikel der aktuellen Ausgabe schreibt Hakan Şentürk, dass das auch so bleiben wird, weil diese Haltung die wissenschaftlichen und ethischen Standards verkörpert, die Forscher von der Zeitschrift erwarten.
Es ist bekannt, dass Tierversuche sich so gut wie nie auf den Menschen übertragen lassen. Die US-amerikanische Food & Drug Administration (FDA) berichtet, dass 95% der klinischen Studien, die sich an einen Tierversuch anschließen, nicht das gewünschte Ergebnis liefern. Viele Gründe sind dafür genannt worden, aber es bleibt die Tatsache, “dass es so gut wie unmöglich ist, aufgrund von Daten aus Tierversuchen vorherzusagen, ob ein Medikament im klinischen Versuch erfolgreich sein wird”, so die Meinung führender Forscher. Daraus leitet die Zeitschrift ab, dass es irreführend wäre, Arbeiten zu veröffentlichen, die offensichtlich in die Irre führen.
Bei Forschungen zu Schlaganfall oder chronischen Entzündungen tritt das Problem deutlich zutage. So hat es z. B. über 150 klinische Studien von entzündungshemmenden Medikamenten gegeben, die im Tierversuch Erfolg versprachen. Alle haben sich als Irrweg erwiesen, keines dieser Medikamente ist für Menschen geeignet. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass die Forschung sich auf komplexere menschliche Zustände konzentrieren muss, “anstatt sich auf “Mäusemodelle” zu verlassen, um Entzündungen beim Menschen zu heilen.”
Der Einfluss genetischer und anatomischer Unterschiede ist nicht nur bei Arten relevant, die vom Menschen weit entfernt sind. Selbst Schimpansen und andere Primaten sind genetisch so verschieden vom Menschen, dass die Übertragung von Ergebnissen auf den Menschen nicht verlässlich ist. So sind z. B. über 200 Studien für eine Impfung gegen HIV durchgeführt worden. Keine davon brachte ein erfolgreiches Ergebnis, obwohl sogar präklinische Studien an Schimpansen und anderen nicht-menschlichen Primaten durchgeführt worden waren. Die offiziellen Stellen in den USA schreiben daher, dass Versuche an Schimpansen - die den Menschen genetisch am nächsten stehen - so gut wie nie Entdeckungen beschleunigen, “die für die menschliche Gesundheit bei Infektionskrankheiten nützlich sein könnten.”
Wir können nur bei Mäusen Krebs heilen
Der frühere Leiter der US-amerikanischen Krebsforschung sagte: “Die Geschichte der Krebsforschung ist eine Geschichte der Heilung von Krebs bei Mäusen. Wir heilen seit Jahrzehnten Mäuse von Krebs - aber bei Menschen funktioniert es einfach nicht.”
Dr. Elias Zerhouni, der frühere Leiter der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH hat es anders formuliert: Mit der Möglichkeit, bei Mäusen - die uns nicht verklagen können - jedes erdenkliche Gen ein- oder auszuschalten, haben sich Forscher viel zu sehr auf Tierversuche verlassen. “Das Problem ist, dass es nicht funktioniert hat und dass wir aufhören müssen, um das Problem herumzutanzen. … Wir müssen uns neu ausrichten und neue Methoden zum Versuch an Menschen entwickeln, um die erkrankte Biologie des Menschen zu verstehen.” Auch der aktuelle Leiter der Gesundheitsbehörde beklagt den Verlust vieler Jahre an Forschung und Milliarden Dollar und kündigte an, man werde sich vermehrt der Entwicklung anderer Forschungsmethoden zuwenden, wie z. B. den Organen auf Chips.
Hakan Şentürk fasst die Situation mit seinen Worten zusammen: Wenn wir anerkennen, dass man sich nicht auf Ergebnisse aus Tierversuchen verlassen kann, dann hat es keinen Sinn, diese Praxis weiter zu verfolgen. Die Forschungsmöglichkeiten außerhalb des Tierversuchs, wie bestehende klinische Systeme, Computermodelle und In-vitro-Forschungen, müssen viel intensiver vorangetrieben und verwendet werden, genau wie die neuen Möglichkeiten der Organe auf Chips weiter entwickelt und genutzt werden sollten. Dann haben die Wissenschaftler keinen Grund, sich auf Experimente zu verlassen, die Tieren schaden und von denen wir wissen, dass sie die menschliche Gesundheit nicht verbessern werden.
Andere wissenschaftliche Fachzeitschriften sollten ebenso handeln
Für Forscher sind Veröffentlichungen wichtig, um voneinander zu lernen, die eigene Karriere zu fördern und Gelder für weitere Forschungen zu generieren. Jedes Mal, wenn eine Veröffentlichung eine potentielle Behandlung möglich erscheinen lässt, die auf Tierversuchen beruht, wird dies eine Vielzahl weitere Studien an Tieren und Menschen nach sich ziehen.
Wenn man also die Ergebnisse aus Studien mit Tierversuchen veröffentlicht, ermutigt man die wissenschaftliche Gemeinschaft zu weiterer nutzloser Forschung und macht der Öffentlichkeit falsche Hoffnungen. “Das ist unethisch”, schreibt der Chefredakteur und fordert andere Fachzeitschriften auf, ebenfalls nur noch Studien mit menschen-relevantem Inhalt zu veröffentlichen. “Die Türkische Fachzeitschrift für Gastroenterologie ist ‘eine leidfreie Zeitschrift’ sowohl für Menschen als auch für nicht-menschliche Tiere, und wir sind überzeugt, dass diese Haltung positive Veränderungen im derzeitigen Forschungssystem bewirken und den dringend benötigten wissenschaftlichen Fortschritt fördern würde.”
Quelle: Leitartikel der Türkischen Fachzeitschrift für Gastroenterologie
Zusammenfassung: Frauke Girus-Nowoczyn
Video von Ärzte gegen Tierversuche
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