von Gabriele Lendle
Kürzlich unterhielt ich mich mit der Inhaberin meines Reformhauses über die vegane Ernährung. Ihre Kunden würden sich sehr dafür interessieren, insbesondere im Zuge der zahlreichen Lebensmittelskandale in der Tierindustrie. Sie könne die vegane Ernährung aus gesundheitlichen Gründen aber nur empfehlen, wenn wichtige Vitalstoffe über Nahrungsergänzungsmittel hinzugeführt werden…!
Dieser Irrglaube ist weit verbreitet. Auch im Bekanntenkreis höre ich oft den Einwand „Vegan ernähren würde ich mich nur, wenn ich sämtliche Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente über Nahrungsergänzungsmittel hinzuführe“, oder „Da muß man sich aber schon sehr gut informieren, damit der Körper auch alles bekommt, was er braucht“. Letzteres ist ja schon richtig, allerdings gilt dies nicht nur für die vegane Kost, sondern auch für die Ernährung mit tierlichen Produkten.
Stellen Sie doch mal die Gegenfrage: Wer von den Nicht-Veganern ernährt sich denn so vitalstoffreich, dass sein Körper alles bekommt was er braucht?
Vitalstoff ist der Oberbegriff für lebensnotwendige Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und sekundäre Pflanzenstoffe. Nahezu jede Krankheit ist anfänglich auf einen Mangel an Vitalstoffen zurückzuführen. Allerdings verzeiht der Körper oft jahre- und jahrzehntelang viele Ernährungsfehler bis es zum Ausbruch einer Krankheit kommt.
Wenn man sich in seinem Umfeld umschaut, sei es unter Kollegen, Freunden, Bekannten oder einfach auf der Straße in der Stadt, dann stellt man doch immer wieder fest, dass sich doch fast keiner vollwertig und vitalstoffreich ernährt. Auch in der Schlange vor der Supermarktkasse lässt sich sehr gut beobachten, was die Leute so in ihrem Wagen haben. Damit kann man sich übrigens ganz nett die Langeweile vertreiben. Egal ob vegan oder nicht vegan, die Nahrung ist von vitalstoffreicher Vollwertkost in den allermeisten Fällen doch schon sehr weit entfernt.
Die Ernährung mit tierlichen Produkten ist also keinerlei Garant für eine vitalstoffreiche und vollwertige Nahrung, sondern hat damit vielmehr absolut gar nichts zu tun.
Was ist denn nun eigentlich vitalstoffreiche vollwertige Nahrung?
Zunächst müssen wir wissen, dass Vitalstoffe durch Licht, Sauerstoff und Hitze zerstört werden. D.h. je länger die Dauer von der Ernte bis zum Verzehr, wo die Lebensmittel sowohl Sauerstoff und Licht ausgesetzt sind, desto höher der Verlust an Vitalstoffen.
Sekundäre Pflanzenstoffe z.B. finden wir in Obst und Gemüse nur dann in ausreichender Menge, wenn diese wirklich bis zur Vollreife am Baum oder Strauch verbleiben, weil die meisten sek. Pflanzenstoffe erst dann gebildet werden. Wo ist das heutzutage noch der Fall? Das ist genaugenommen leider nur noch im eigenen Garten zu schaffen. Jeder weiß, dass Obst und Gemüse unreif geerntet werden, damit sie auf den oft langen Transportwegen durch die halbe Welt nicht verdorben auf dem Teller des Verbrauchers landen. Selbst der regionale Bio-Bauer erntet seine Tomaten zum Verkauf leider nicht in ihrer vollroten Reife, sondern viel früher, um sie länger verkaufen zu können.
Auch beim Erhitzen, Kochen und Backen von Gemüse, Obst und Getreide geht ein Großteil der wertvollen Vitalstoffe verloren.
Wenn man den Aspekt des Vitalstoffverlustes durch Licht, Sauerstoff und Erhitzen verinnerlicht hat, hat man die wichtigsten Regeln der Vollwertkost eigentlich schon verstanden.
Der Vitalstoffbedarf des Menschen kann erwiesenermaßen über pflanzliche Kost voll gedeckt werden. Ausnahmen sind das Vitamin B12 und ggf. Vitamin D. Erwähnt werden muss jedoch, dass auch die Konsumenten von tierlichen Produkten vor Vitamin B12- und Vitamin D-Mangel keinesfalls gefeit sind.
Es gibt verschiedene Schritte, wie man sich der Vollwertkost nähern kann. Wer z.B. zum Frühstück sein Weißmehlbrötchen mit veganer Pflanzenmargarine und Marmelade liebt, für denjenigen ist es schon ein Schritt in Richtung vitalstoffreicher Vollwertkost, wenn er das Weißbrot durch Vollkornbrot ersetzt und die i.d.R. stark zuckerhaltige Marmelade z.B. durch einem frischen Avocadoaufstrich. Gesteigert werden kann dies beispielsweise durch ein zuckerfreies Getreidemüsli mit frischen Früchten oder noch besser: einem über Nacht eingeweichten frisch geschroteten Vollkornbrei. Für letzteren ist dann aber die Anschaffung einer Getreidemühle praktisch unumgänglich.
Zucker- und Weißmehlprodukte haben jedenfalls in einer vitalstoffreichen Vollwertkost nichts verloren, weil sie keinerlei Vitalstoffe enthalten.
Frisches Obst und Gemüse liefern in der Rohkost-Variante also mehr Vitalstoffe, als in gebackener oder in gekochter Form. Auch beim Mehl ist wissenswert, dass frisch gemahlenes Getreide durch den Kontakt mit Sauerstoff binnen 12 Stunden einen Großteil seiner Vitalstoffe verliert. Aus diesem Grund haben viele Bioläden und Reformhäuser heutzutage eine Getreidemühle, wo Sie Ihr Getreide frisch mahlen und idealerweise am selben Tag noch zu Brot, Kuchen, etc. verarbeiten können. So bleiben wichtige Vitalstoffe weitestgehend erhalten.
Bio-Produkte enthalten nicht unbedingt immer mehr Vitamine und Vitalstoffe als konventionell erzeugte Produkte. Zu beachten ist jedoch, dass Bio-Produkte frei von Giftstoffen, wie Pestiziden, Düngemitteln, Konservierungsstoffen, etc. sind. Insofern ist auch der Verzehr von biologisch erzeugten Lebensmitteln in der Vollwertkost in jedem Fall zu bevorzugen.
Wer sich eingehender mit dem Thema vitalstoffreiche Vollwertkost auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich das Buch „Das große Dr. M.O.Bruker Ernährungsbuch von Ilse Gutjahr, ISBN: 3891890656. Dieses Buch ist zwar nicht rein vegan, aber Dr. Bruker hat schon den weitestgehenden Verzicht auf tierliche Produkte empfohlen und liefert exzellentes Basiswissen zur vitalstoffreichen Vollwertkost.
Wie auch immer, lassen Sie sich bei der Umstellung auf die vegane Ernährung nicht von ihrem Umfeld beeinflussen und glauben Sie nicht an das Märchen, vegane Ernährung könne nicht „vitalstoffreich, vollwertig und gesund“ sein. Denn deren Ernährung mit tierlichen Produkten ist es in der Regel eben erst recht nicht!
Gabriele Lendle, 24.3.2013
Autorin von „Ab jetzt VEGAN!“ mit Dr. Ernst Walter Henrich, erschienen beim TRIAS Verlag Stuttgart im August 2012, ISBN 3830466609


