Ich will meine Geschichte erzählen, bevor ich sterbe. Sie kamen vor vier Jahren. Es war im April und ich saß in unserem Garten, die Hände über meinem runden Bauch gefaltet und genoss die Sonne. Dann setzt meine Erinnerung aus.
Bis ich in einer großen Halle wieder aufwachte. Angebunden in einer kleinen Box, nicht groß genug, um mich zu bewegen. Mein erster Gedanke galt Lina, ich schaute an mir herunter, mein Bauch sah aus wie immer, fühlte sich an wie immer, ich war unverletzt, ihr schien es gut zu gehen. Erleichterung. Dann blickte ich mich um und sah weitere Boxen, in jeder eine Frau angebunden. Jede schwanger. Panik.
So begann mein Albtraum. Als Lina geboren wurde konnte ich einen kurzen Blick auf sie werfen, dann wurde sie weggebracht und ich habe sie nie wieder gesehen. Ich werde nicht versuchen diesen Schmerz zu beschreiben. Es gibt keine Worte dafür. Danach wurden Schläuche an meine Brüste gesetzt, um die Milch abzupumpen. Nach einem Monat führte einer von Ihnen einen Stab in mich ein. Ich war wieder schwanger. Meiner zweiten Tochter gab ich den Namen Hanna, meine dritte Tochter heißt Mia. Ich frage mich wo sie sind. Wir glauben, dass unsere Töchter auch Milchfrauen werden. Über unsere Söhne sprechen wir nicht. Mein viertes Kind war ein Junge. Mein kleiner Josua. Als Sie ihn wegbrachten, dachte ich der Schmerz würde mich umbringen. Erinnerungen an Kalbsleberwurst, Spanferkel und Osterlämmer überfluteten mich. Ich erbrach mich, immer wieder, bis einer von Ihnen kam und mir ein Beruhigungsmittel gab.
Sie sind intelligenter und mächtiger als wir. Wir schaffen es nicht mit Ihnen zu kommunizieren. Ihnen mitzuteilen, dass wir Gefühle haben. Dass wir Schmerzen haben. Dass unsere Brüste wehtun. Dass Sie uns unerträgliche seelische Qualen zufügen. Dass unsere Babys uns gehören. Dass unsere Milch für unsere Babys ist. Dass wir leben wollen.
Wir sind die Nutzmenschen. Unsere Bedürfnisse zählen nicht. Wir haben das schlechteste Los gezogen. Wir wissen, dass es noch Wildmenschen gibt. Manchmal werden sie von Ihnen gejagt. Wir wissen, dass Sie Hausmenschen halten, die Sie lieben. Diese Menschen haben das bessere Los gezogen. Was wir nicht wissen ist, nach welchen Kriterien Sie auslosen. Es scheint vollkommen willkürlich zu sein.
Mein Leben ist fast vorbei. Ich stehe in einer Schlange in einer anderen Halle. Ich wurde heute Morgen mit einigen Frauen hierhin gebracht, die so wie ich nicht mehr viel Milch geben. Es riecht nach Blut. Es ist laut von all den Schreien. Ich sehe wie einer Frau nach der anderen in den Kopf geschossen wird. Ich verliere meine Fassung, flehe um mein Leben, schreie, schlage und trete um mich. Ich bin die nächste, die Panik überwältigt mich, meine Stimme überschlägt sich.
Doch Sie wollen mich nicht hören.
Verfasser*in: anonym
Bildnachweis: Tawny Nina, pixabay.com



