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Das Bio-Vegane Netzwerk ist Teil des BVL

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BVL Schreibwettbewerb - Platz Nr. 2 - Einatmen, Ausatmen von Selim Özdogan

friends-52662_1280Vegan leben bedeutet häufig in Diskussionen hineingezogen zu werden. Diskussionen über Ethik, Moral, Umwelt, Gesundheit, Mangelerscheinungen, Ökologie, Tierhaltung, Weltfrieden und Ersatzreligionen. Ich erzähle nicht oft, warum ich Veganer geworden bin, und wenn, dann diskutiert niemand mit mir.

Kerim und ich waren neun Jahre alt, als seine Familie bei uns ins Haus eingezogen ist. Die nächsten 13 Jahre verbrachten wir gemeinsam, wie Freunde, wie Brüder, vielleicht wie Zwillinge. Eine Zeitlang kauften wir Bücher doppelt, lasen sie gleichzeitig, blätterten gleichzeitig um und sahen an denselben Stellen hoch und grinsten uns an.

Wir konnten parallel an zwei Playstations spielen und Rennen in der gleichen Zeit mit dem gleichen Punktstand abschließen. Wenn man den einen gesehen hat, war der andere nie weit. Nur die Schule konnte uns trennen, und die Sommerferien, weil Kerim mit seinen Eltern immer wegfuhr. Später gab es keine Schule mehr und in den Urlaub sind wir gemeinsam gefahren.

Später bin ich dann weggezogen zum Studieren, Kulturmanagement, und wenn ich an den Wochenenden nach Hause kam, dann nicht, um meine Eltern zu sehen. Kerim fing an zu tätowieren und hatte schon bald einen Namen in der Szene, ist viel auf Conventions gewesen, kam herum in der Welt. Die anderen meinten, der Abstand täte uns beiden gut, aber sie hatten einfach keine Ahnung. Wir hatten keinen Abstand, auch wenn wir uns ein halbes Jahr nicht gesehen haben. Wir hatten keinen Abstand, auch wenn wir unterschiedliche Interessen entwickelten. Ich habe erst nach dem Unfall gelernt, was Einsamkeit ist.

Nach dem Unfall hat Kerims Mutter mir seinen Laptop gegeben. Ich habe acht Versuche gebraucht, bis ich das Passwort hatte und dann saß ich da und habe gesehen, was er zuletzt auf seinem Rechner gesehen hat. Ich saß über eine Stunde da und habe keine Taste angerührt, sondern die ganze Zeit gedacht, dass das letzte war, was er hier getan hat. Bevor er den Rechner zuklappte. Bevor er feiern ging. Bevor er von diesem Dach fiel.

Ich wollte einfach weitermachen. Dort, wo er aufgehört hat. Wenn man das Passwort eingibt, sieht man nicht seine Entwürfe für Tätowierungen, man sieht nicht seine Emails oder ein Autorennen. Man sieht seinen ersten Post in einem Forum für Veganer.
Ich bin vegan geworden, weil ich seit dem Unfall auch für Kerim weiteratme. Ich bin vegan geworden, weil er mein Bruder war und weil ich jetzt für zwei lebe.

Die anderen sagen, er hätte vielleicht wieder damit aufgehört, aber darum geht es nicht. Ich bin zum Veganer geworden, weil Kerim und ich so verbunden bleiben. Ich bin Veganer geworden, weil du nicht einsam bist, auch wenn du dich so fühlst. Ich bin Veganer geworden, weil ich immer noch nichts am Rechner verändert habe, ihn aber regelmäßig aufklappe. Ich bin Veganer geworden, weil das Leben immer weitergeht.

von Selim Özdogan

Bildnachweis: Peter Dargatz, pixabay.com

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